8.6.2025

Sind Frauen die besseren Geburtshelfer?

Ja, weil Zeit die entscheidende Rolle bei der Geburt spielt, ant-wortet Tierärztin Astrid Evers von der Tierarztpraxis Illerwinkel bei einem BBV-Seminar im Spitalhof, wo 20 junge Frauen an der Phantomkuh Else die praktische Geburtshilfe übten

Wie die gebürtige Niederländerin betont, sind Frauen die besseren Geburtshelfer, weil Vieles bei den Kühen genau so ist wie bei den Frauen. Jeder müsse aber seine eigenen Grenzen kennen. Um im Zweifel sollte jemand angerufen werden; es müsse aber nicht unbedingt immer der Tierarzt sein. Wichtig sei bei der Geburt – wenn das Kalb richtig liegt – der Kuh genügend Zeit zum Gebären zu geben.

Beim Thema Geburtshilfe komme es bei der Geburtsvorberei-tung aber bereits entscheidend auf die richtige Spermaauswahl (Rasse und Vererbungsmerkmale) an. Die Kuh sollte bereits beim Trockenstellen den richtigen Body-Condition-Scoring (BCS) von 3 bis 3,5 aufweist. In den Niederlanden heiße man dies den Griff in das Kuckucksloch. Einen wesentlichen Ein-fluss auf den Kalbeverlauf haben aber auch das Erstbesamungsalter, die Sauberkeit der Kuh und der Abkalbebox. Diese sollte mindestens zehn Quadratmeter groß, sauber, leicht zu reinigen/desinfizieren, von außen her mit einem Lader zu entmisten, frisch eingestreut und mit einem rutschfesten Boden ausgestattet sein. Wichtig wäre, Frischwasser und Futter zur Verfügung sowie eine Fixiermöglichkeit für die Kuh. Allerdings sollte eine Abkalbebox – wegen der Keimbelastung – nicht als Krankenbox verwendet werden. Früher empfahl man gerne, nach jeder Kalbung die Box auszumisten: Heute findet man eine Matratze wichtiger, damit die Kuh rutschfest steht.

Wenn es in Richtung Kalben läuft, sollte beobachtet werden, ob die Kuh noch richtig frisst, ob sie noch aufmerksam ihre Umgebung betrachtet und ob sie eventuell ein Schmerzgesicht aufweist. Schmerzen zeigen sich in kleiner werdenden Augen, Falten werden größer, die Nase wird hochgezogen und die Ohren gehen leicht vom Kopf weg und im Extremfall, nach hinten gezogen, oft sogar mutloshängend.

Die Vorbereitungsphase beginnt bereits 36 Sunden vor der eigentlichen Geburt: Die Milch im  Euter schießt ein, bekommt ein Floss, ein zäher Schleim-Pfropf geht ab und die Becken-bänder fallen ein. Die Öffnungsphase kann bis zu 16 Stunden lange dauern: Die geschlossene Fruchtblase weitet Muttermund und Geburtsweg. Die Ausweitungsphase darf nach dem Platzen der Fruchtblase bis zum Durchtritt der Stirn des Kalbes bis zu drei Stunden lange dauern. Nun folgt die Austreibungsphase, die 15 Minuten lange dauern darf.

Hierauf folgt die Nachgeburtsphase, die bis zu acht Stunden lange dauern darf. Länger als zwölf Stunden werden als Nachgeburtsverhalten bezeichnet. Was man da tun soll, sei ein sehr sensibles Thema: Stellt man diese Frage zehn Tierärzten, bekomme man zwölf verschiedene Meinungen, betont Evers. Neueste Empfehlung sei: Die Nachgeburt zehn Zentimeter unter der Scham abschneiden, aber keine Einlage einbringen. Also abwarten und Tee trinken! Auslöser für das Ablösen der Nachgeburt sei nämlich eine kleine Entzündung.

Evers machte deutlich, dass ab der Öffnung des Muttermundes nur ganz wenig beeinflusst werden könne. Also kein vorschnelles Eingreifen: Es braucht viel Zeit, bis der Muttermund so weit geöffnet ist, damit das Kalb durchtreten kann. Zu schnelles/frühes Eingreifen führe oft zu Verletzungen. Durch die Oxytocin-Ausschüttung bekomme die Kuh einen Entleerungsreflex, wobei sich die Gebärmutter zusammenzieht. Danach komme dann die Bauchpressung noch hinzu: Dies verstärke den Wehendruck um bis zum Fünffachen. Meist lege sich die Kuh dann hin, weil sie so besser pressen kann.

Zur Geburtshilfe empfiehlt die Tierärztin Handschuhe, viel Wasser und viele Handtücher sowie leicht zu reinigende Ket-ten oder Stricke, die in der Waschmaschine einfach reinigen lassen. Beim Einsatz von geeignetem Gleitmittel sollte auf das Verfalldatum geachtet werden: Nicht umsonst gebe es nach Geburtshilfe mehr Gebärmutter-Entzündungen. Nach gründlicher Reinigung von Scham und Händen dürfen maximal zwei Personen bei der Geburtshilfe ziehen: Möglichst abwechslungsweise, und immer mit den Wehen. Weil der größte Feind der Geburt der Mensch sei, gelte es gründlich abzuwägen, ob Geburtshilfe wirklich nötig ist. Geduld ist der beste Geburtshelfer sagt Evers.

Kontrolliert werden muss, ob der Muttermund (ist wie eine Manschette mit mehreren Ringen) genügend geöffnet ist, und ob das Kalb richtig liegt (Liegt es auf dem Bauch, auf dem Rücken, kommt es mit den Vorderbeinen oder mit den Hinter-beinen zuerst?). Anhand der Klauensohle und dem folgenden Gelenk kann festgestellt werden, ob es sich um Vorder- oder Hinterbeine handelt. Lebenszeichen gibt das Kalb, wenn man ihm zwischen die Klauen kneift, indem es den Fuß zurückzieht. Kontrolliert werden kann auch der Schluckreflex, indem weit über die Zunge gegriffen wird. Drückt man mit dem Finger ganz dezent aufs Auge, spürt man beim lebenden Kalb ein leichtes Zittern. Bei Hinter-Endlage kann der Anus-Reflex kontrolliert werden, indem ein oder zwei Finger in den After gesteckt werden: Wenn sich der After wieder zusammenzieht, lebt das Kalb. Gleiches gilt, wenn das Pulsieren der Nabel-schnur gefühlt werden kann.

Beim Anlegen von Zugstricken/Ketten an den Beinen, muss darauf geachtet werden, dass nicht die Fruchthaut oder Teile der schlapperigen Vagina mit eingeklemmt werden. Um mehr Platz zu schaffen, kann der Geburtsweg mit den Armen etwas gedehnt werden. Unterstützend wirkt auch warmes Wasser. Der Eingriff erfolgt aber erst, wenn der Muttermund genügend geöffnet ist. Ausnahme ist, bei Tragsackverdrehung und Rückenquerlage des Kalbes. Wenn Kopf oder Beine zurückgeschlagen sind, muss (in Wehen-Pausen) eingegriffen werden: Bei Beinen müssen dabei die Klauen mit der Hand umschlossen sein, damit die Gebärmutter nicht verletzt wird: Erst das Kalb etwas zurückschieben, und dann den Fuß vorsichtig nach oben heben. Lage-Korrekturen sind möglichst am stehenden Tier vorzu-nehmen, weil bei hängendem Bauch mehr Platz zum Korrigie-ren/Drehen vorhanden ist. Nach der Korrektur ist das Rausziehen beim liegenden Tier günstiger: Zur Not geht es auch beim stehenden Tier! Zughilfe sollten nur zwei Personen leisten; bis zum Durchtritt vom Kopf möglichst in beiden Beinen wechselseitig ziehen. Mechanische Geburtshelfer sollten nicht zu hoch angesetzt werden.

Zu wenig Calcium führe, insbesondere bei Rindern, zu Trag-sackverdrehungen. Warten können oft mithelfen, das Kalb zu drehen. Auf welche Seite es zurückgedreht werden muss, kann an den schräge- verlaufenden Striemen der Scheidenwand festgestellt werden. Ist der Tragsack – samt Kalb – in die richtige Richtung zurückgedreht, ist der Muttermund meist auch viel weiter und in der Scheide viel mehr Platz. Meist wird das Drehen des Kalbes erleichtert, wenn dessen Beine, notfalls auch der Kopf - mit Stricken angebunden – leicht auf Zug gehalten werden und das Kalb (nur bei einer Wehenpause) mit eiem geschickten Griff in die richtige Position gebracht wird. Wenn der Tragsack sehr eng am Kalb anliegt, kann der Tier-arzt ein Medikament spritzen, das Gebärmutter und Mutter-mund sichtlich entspannt.

Dammschutz Ganz wichtig ist der Dammschutz: Die Hände massierend um das Kalb gelegt wird der Damm zurückgehalten. Beachtet werden muss: Wenn das Kalb über die Beine auf Spannung gehalten wird, kann es nicht atmen! Es ist also günstig, auch Zugpausen zum Atmen mit einzuplanen. Auch die Hüfte kann groß und knochig sein: Evers empfiehlt, bei engen Verhältnissen mit einem geschickten Griff das Kalb etwas zu drehen, damit es leichter durchkommt. Bis die Schulter des Kalbes heraussen ist, muss – mit Pausen zum Atmen – gerade gezogen werden, erst dann eher in Richtung Euter. Wenn nach 20 Minuten ziehen nichts vorwärts geht, ist es besser, einen Kaiserschnitt zu machen: Selbst lebensschwache Kälber werden dadurch nicht so gestresst, wie bei einer normalen Geburt. Voraussetzung ist allerdings: Die Kuh muss aufstehen!

Bei der Hinter-Endlage ist alles anders: hier muss alles schnell gehen, denn das Kalb kann schließlich nicht atmen. Auch wird so die Nabelschnur früher abgeklemmt: Es ist hier also günstig, erst mit auseinandergedrückten Armen für den nötigen Platz in den Geburtswegen und dem Muttermund zu sorgen, damit das Rausziehen des Kalbes möglichst zügig erfolgen kann.

Längeres Aufhängen des Kalbes empfiehlt die Tierärztin nicht, weil so die inneren Organe alle auf die Lunge drücken und so das Atmen sichtlich erschweren. Besser sei ein kurzer Schock mit kaltem Wasser und anschließend das Trockenrei-ben mit Stroh; sowie das Ableckenlassen von der Kuh. Das Atmen anregen kann auch Akupunktur: Indem mit einer klei-nen, stumpfen Nadel mitten auf die Nase gedrückt wird: Sozu-sagen mitten im Geodreieck; zwischen Mund und den beiden Nasenlöchern! Ganz wichtig sei das Zittern des Hinterteils am Kalb. Zur Nabeldesinfektion empfiehlt Evers das Einsprühen der Sollbruchstelle mit einer Jod- oder Chlorlösung. Die Kuh sollte dann so viel Wasser trinken, wie das Kalb wiegt, also 30/40 Liter Wasser. Wenn es der Kuh gut geht, dann will sie aufstehen und sich mit dem Kalb beschäftigen; etwa es ablecken. Zehn Tage lange sollte man nun täglich die Temperatur messen. Ein Strich auf dem Rücken zeigt, dass die Kuh regel-mäßig beobachtet werden muss. Die zu frühe Gabe eines Schmerzmittels verhindert, dass in der Gebärmutter eine kleine Entzündung entsteht und dadurch die Ablösung der Nachgeburt eingeleitet wird. Anderseits sollte sie aber auch gut fressen: Es sei also eine Gradwanderung, wann ein Schmerzmittel nach der Geburt gegeben wird. Bei Zweifel gelte immer: Tierarzt anrufen!

Hilfreich ist, wenn man der Kuh ein Handtuch über die Scham gelegt und 15 Minuten lange kaltes Wasser darüber laufen lässt: Dies lasse die geschwollen Scham schnell wirksam schrumpfen. Bei einem Gebärmuttervorfall sei dies aber nicht hilfreich; lauwarmes Wasser sei da entschieden besser!

Tierärztin Astrid Evers sagt: Frauen sind die besseren Geburtshelfer, bei Männern muss das immer schnell gehen! Kreisbäuerin Irmgard Maier freute sich, dass das Wissen rund um die Geburt von zwanzig agilen Bäuerinnen wieder auf-gefrischt wurde. Normales Gesicht einer Kuh. Beginnendes Schmerzgesicht. Markantes Schmerzgesicht. Normale Lage des Kalbes bei einer Geburt. Bei einer Rückenendlage muss die Geburt schnell vonstattengehen, weil das Kalb nicht atmen kann und die Nabelschnur frühzeitig abgeklemmt wird. Lage von Gebärmutter und Eierstock bei der Besamung. Wenn Gliedmaßen des Kalbes bei der Geburt abgeknickt sind, müssen beim Anheben die Klauen mit der helfenden Hand umfasst sein, um Verletzungen der Gebärmutter zu vermeiden. Dies gilt auch bei abgenickten Hinterbeinen, wenn die Lage korrigiert werden muss. Akupunkturpunkt an der Nase beim Kalb, hilft, nach der Geburt die Atmung in Gang zu bringen.

19 Frauen (und ein Herdenmanager) trafen sich am Spitalhof zur praktischen Übung für Geburtshilfe. Ketten für die Geburtshilfe lassen sich leicht reinigen und desinfizieren; hier angelegt an einem Vorderfuß. Wenn die Kette unterhalb der Afterklauen angelegt wird, muss dies so erfolgen. Zughölzer aus Kunststoff lassen sich reinigen, und schwimmen auf der Gülle, falls sie mal runterfallen. Ketten mit einer weiten Mittelöse lässt sich auch bei Rückenendlage ein Geburtshelfer einsetzen. Augenklemmen können ohne Verletzungsrisiko eingesetzt werden, falls ein Kopfstrick nicht anzulegen ist. Der Kopfstrick muss hinter den Ohren angelegt, und der Abgang durch den Mund geführt werden; eine Kette eignet sich dafür nicht so gut.

Bei der 30.000 Euro teuren Phantomkuh-Alma konnten die Teilnehmer unter fast realistischen Bedingungen sämtliche Möglichkeiten der Geburtshilfe üben. Tierärztin Astrid Evers demonstrierte, wie mit beiden Händen der Geburtskanal geweitet wird. Dammschutz bei der Geburtshilfe hat oberste Priorität. Wenn nichts mehr geht, können ausnahmsweise auch Augen-haken eine Lösung darstellen. Tierärztin Evers demonstriert, wie ein Kalb mit beiden Händen unter Zug gedreht wird. Nach der Geburt muss schnellst-möglichst die Atmung in Gang gebracht werden. Anstupfen am Akupunkturpunkt auf der Nase soll den Reflex zum Atmen auslösen. Ein ummanteltes Stahlseil kann als Kopfstrick dienen; ist in manchen Fällen leichter anzulegen als ein Strick; das Ende muss aber auch hier durch den Mund geführt werden. Ein kleines Handmesser hilft, die Fruchtblase zu öffnen. Der Geburtshelfer sollte beide Beine abwechselnd anziehen können. -fk

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